Den Feind immer mehr kennen
Brustkrebs. Maligne Zellen können mehr und mehr molekular differenziert werden. Die dafür jeweils geeigneten Therapien zu finden ist eine der großen Herausforderungen der Wissenschaft.
Brustkrebs ist nicht gleich Brustkrebs, das ist die wichtigste Erkenntnis der vergangenen Jahre. "Wir können mittels molekulargenetischer Untersuchungen die Tumore mehr und mehr wissenschaftlich differenzieren", sagt Michael Gnant, Leiter der Universitätsklinik für Chirurgie der Med-Uni Wien und des AKH Wien. "So lernen wir immer mehr Details des Feindes kennen." Dabei wird auch das Erbgut der Krebszellen auf Biomarker analysiert und nach Targets, also Biomolekülen, an die ein Wirkstoff binden kann, geforscht.
Mittlerweile seien Hunderte potenzieller Targets bekannt und klinische Studien mit rund 200 verschiedenen Medikamenten am Laufen. "Wissenschaft und Pharmaindustrie sind fieberhaft auf der Suche nach Biomarkern, von denen wir wissen, dass ein Medikament wirkt", bekräftigt Miran Arif, Medizinischer Leiter der Pfizer-Onkologie in Österreich. "Allerdings ändern sich die Tumorzellen ständig", weiß Arif.
Individuelle Behandlung
Die molekulare Differenzierung ermöglicht laut dem Experten eine zunehmend individualisierte Therapie. "Wir leben im Zeitalter der Präzisionsmedizin", bestätigt Gnant. Und zwar in zweierlei Richtung. "Es geht darum, eine sowohl auf den Tumor als auch auf die Patientin zugeschnittene Therapie zu finden", erklärt Arif. Eine Frage sei, wie alte und neue Therapieformen kombiniert werden könnten. Also beispielsweise eine medikamentöse und eine Immuntherapie.
Nicht immer steht bei der Therapie die Heilung im Fokus. "Gerade bei jenen Frauen, bei denen metastasierender Brustkrebs diagnostiziert wurde - das sind bis zu 30 Prozent der Betroffenen - stehen die Verbesserung von Überlebensdauer und Lebensqualität im Mittelpunkt", sagt Arif. Gute Erfolge werden hier aktuell mit Zellzyklushemmern verzeichnet. "Studien haben gezeigt, dass der Einsatz von sogenannten CDK4/6-Inhibitoren bei hormonrezeptorpositivem Brustkrebs die Überlebenszeiten sogar verdoppeln kann", sagt Gnant. "Andere Medikamente greifen die Oberflächenstrukturen der Zellen an und zerstören sie. Die Zelle findet dann aber Wege, um zu kompensieren, und wird möglicherweise sogar resistent", beschreibt Arif. Die CDK4/6-Inhibitoren hingegen würden tief in die Zelle eingreifen, die Zellzykluskontrolle stören und so das Tumorwachstum bremsen.
In die Zelle greifen auch die sogenannten PARP-Inhibitoren ein. Grundsätzlich würden zwar PARP-Enzyme DNA-Schäden reparieren, erklärt Gnant. Würde man diesen Reparaturmechanismus jedoch hemmen, führt der DNA-Schaden zum Absterben der Zelle. Entsprechende Studien laufen. "Das wäre vor allem für Frauen mit dem sogenannten triple-negativen Brustkrebs, der derzeit nur mit Chemotherapie behandelt werden kann, ein Fortschritt", sagt Gnant.
Suche nach Immuntherapie
Eine weitere Behandlungsoption, von der sich Gnant in Zukunft einiges verspricht, sind Immuntherapien. Signifikante Erfolge wurden damit unter anderem bereits bei Melanom, bei Lungen-, Nieren- oder Blasenkrebs erzielt. Bei Brustkrebs läuft es bislang nicht ganz so rund: "Wir arbeiten mit den Check-Point-Inhibitoren, die beim Brustkrebs noch nicht so gut funktionieren", erzählt Gnant. Genau diese seien es aber, die die Blockade der Tumorzellen gegen das körpereigene Immunsystem aufheben würden.
Aber nicht nur im Bereich der Arzneimittel tut sich einiges, neue Wege werden auch bei den Therapien beschritten. So werden medikamentöse Therapien immer häufiger vor Operationen durchgeführt. "Die Tumore werden oft signifikant kleiner", sagt Gnant. Für die Patientinnen bedeute das, dass brusterhaltend operiert werden könne. Apropos Operation: Einer Studie der Austrian Breast & Colorectal Cancer Study Group zufolge verbessern bei metastasiertem Brustkrebs Operationen vor der medikamentösen Therapie nicht die Behandlungsaussichten. "Wir zeigten, dass im Spätstadium der Erkrankung eine Operation den betroffenen Frauen keinen Überlebensvorteil verschafft. Im Sinne der besseren Lebensqualität kann ihnen der belastende Eingriff erspart werden", sagt Gnant.
Wie wichtig die Weiter- und Neuentwicklung von Therapiekonzepten, aber auch die verbesserte Früherkennung von Brustkrebs sind, zeigt sich an den Sterblichkeitszahlen: Sie sind in den vergangenen 30 Jahren um ein Drittel zurückgegangen. Pro Jahr erkranken in Österreich rund 5200 Menschen an Brustkrebs, der Großteil davon sind Frauen, es können aber auch Männer an Brustkrebs erkranken.
Quelle: "Die Presse" vom 23.06.2017